Seit Jahrhunderten stellt sich beim Thema Erziehung scheinbar nur eine Frage: die nach dem Wie. Ich frage jedoch seit knapp zwanzig Jahren nach dem Warum — und habe noch keine befriedigende Antwort gefunden.

Die Presse scheint genau zu wissen, warum.

Das Narrativ geht so: Unerzogene Kinder entwickeln sich zu Tyrannen oder Diven. Meist tyrannisiert das Kind die willensschwachen Eltern so nachhaltig, dass die ihrem Nachwuchs hilflos gehorchen und ihn hoffnungslos verwöhnen. So müsse das Kind bei Laune gehalten werden, um zumindest hin und wieder Ruhe zu haben. Das Ergebnis sei am Ende ein kalendarisch Erwachsener, den niemand leiden könne, weil er nie aus seiner Egozentrik herausgewachsen sei. Und weil ihn die Verwöhnung unselbstständig gemacht habe, liege er anderen auf der Tasche. Kristina Kuzmic bringt diese verbreitete Überzeugung auf den Punkt:

Eltern dürften nicht die Freunde ihrer Kinder sein, meint Frau Kuzmic.

Vor diese Alternativen gestellt: »verhätscheln« oder »klassisch erziehen«, fällt die Wahl fast immer so aus wie bei den Eltern und den Großeltern. Auch die erzogen ihre Sprösslinge und vertrauten dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche. Heute sind wir moderner und sprechen von »positiver Verstärkung« und »natürlichen Konsequenzen«. Aber das ändert nichts daran, dass Belohnungen und Bestrafungen eine Form der Dressur sind. All das geschieht meist mit wohlmeinenden Absichten: Sicher wollen die Eltern, dass sich ihr Kind in der Gesellschaft zurechtfindet und glücklich wird. Die Angst ist jedoch groß, das zu gefährden, wenn man sich normabweichend verhält. Den meisten Erziehern ist auch klar, dass sie sich oft zunächst den Unmut der Kinder zuziehen, aber sie hoffen, dass ihnen die Kinder irgendwann einmal dankbar sein werden.

Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich zunächst den Begriff »Erziehung« klären und danach meine Alternative beschreiben:
Erziehung will das Kind formen. Sie unterscheidet sich klar von der Beeinflussung, die bei jeder Kommunikation stattfindet, wenn sich zum Beispiel Erwachsene unterhalten. Bei der Erziehung stellt sich der Erzieher über oder vor den Erzogenen und zieht ihn gleichsam hinter sich her zu einem Ziel, das der Erzieher bestimmt. Beim Erziehen werden Handlungsanweisungen auch gegen den Willen des Kindes durchgesetzt. Der Erzieher stellt Ge- und Verbote auf und sorgt für deren Einhaltung — zunächst mittels Drohungen, wenn nötig auch mit Gewalt. Gewaltfreie Erziehung ist daher ein Oxymoron, ein impliziter Widerspruch, so wie ein schwarzer Schimmel.

Antiautoritäre Erziehung ist übrigens auch Erziehung, selbst wenn sie in manchen Details liberaler ist. Hier sollen die Kinder so geformt werden, dass sie autoritäts- und kapitalismuskritisch werden. Die Erziehung der 68er war immer auch ein Mittel, um die Welt zu retten oder zumindest nachhaltig zu verändern. Ein egoistisch denkendes und handelndes Kind ist ein Graus für sozialistisch orientierte Erzieher.

Wie kann man sich das Zusammenleben von Erwachsenen und Kindern ohne Erziehung vorstellen? Ich bin seit 18 Jahren Teil einer Studie, die zugegebenermaßen mit n=1 sehr übersichtlich ist und keine Kontrollgruppe besitzt, aber bei der Beschreibung des Untersuchungsaufbaus werden zumindest die Unterschiede zur Erziehung klar:

Die Eltern C und O bilden zusammen mit dem Kind J eine Lebensgemeinschaft. Hier gelten keine allgemeinverbindlichen Regeln oder Moralvorstellungen. Es gibt auch keine Herrschafts-Hierarchie, in der irgendwer weiter oben oder weiter unten steht. Die Natur hat alle Teilnehmer der Studie mit einem Betriebssystem ausgestattet, welches die eigenen Triebkräfte und Bedürfnisse an die erste Stelle gesetzt hat: Alle Teilnehmer haben angenehme Gefühle, wenn die eigenen Triebe ausgelebt werden und die eigenen Bedürfnisse erfüllt sind. Die Teilnehmer empfinden Unwohlsein, wenn es einen Mangel gibt bezüglich Trieb-Befriedigung und Bedürfnissen. Unterschiede der Teilnehmer bestehen hauptsächlich in der Lebenserfahrung, die bei Kind J zu Anfang der Studie null betrug, wohingegen C und O mit addierten 70 Jahren Lebenserfahrung starteten.

Die Prämisse der Studie lautete: Das Kind J ist nicht erziehungsbedürftig, sondern bedarf lediglich der Unterstützung, denn es kann sich noch nicht selbst versorgen. Selbst Motivierung wird vermieden, denn die Lust am Lernen ist angeboren und kann lediglich unterstützt oder verdorben werden. Die These lautet: »Jegliches Sollen oder Müssen untergräbt das Wollen und erschwert das Lernen.«
Auf Erziehung zu verzichten, heißt selbstverständlich nicht, seine Kinder zu vernachlässigen. Kinder brauchen Bindung und haben somit ein Bedürfnis nach anderen Menschen. Sie wollen, dass man sich mit ihnen beschäftigt, mit ihnen spielt, gemeinsam mit ihnen lernt, sie unterstützt. Aber sie möchten bei der Unterstützung vorher gefragt werden. Unaufgeforderte Belehrungen untergraben die Autonomie-Bestrebungen des Kindes und verfehlen meist ihr Ziel.
Die Alternative zur Erziehung ist ein gleichberechtigtes Zusammenleben, bei dem das Kind nichts zu tun braucht, was es nicht freiwillig machen würde. Das Zusammenleben besteht hauptsächlich aus: Empathie, Einladungen, Ermutigungen, Inspirationen sowie Beratung, aber diese nur auf ausdrücklichen Wunsch.

Eigentlich wäre hiermit alles gesagt, aber aus Erfahrung weiß ich, dass jetzt viele Einwände auftauchen, zumindest aber Fragen. Die sechs häufigsten will ich hier beantworten. Der erste Einwand lautet meist:

»Wird einem das Kind bei dieser Behandlung nicht auf der Nase herumtanzen?«

Antwort: Dass ich auf mein Kind nicht herabblicke bedeutet keinesfalls dass ich mein eigenes Wollen vernachlässige. Für das trete ich weiter ein, nur eben ohne Gewalt. Ein Verzicht auf Gewalt bedeutet auch nicht, dass ich das Wort »nein« aus meinem Wortschatz getilgt habe. Nur weil ich mein Kind nicht mehr wie einen Sklaven behandle, heißt das nicht, dass ich mich zum Sklaven mache. Auch wenn ich auf allgemeingültige Regeln verzichte, leiten mich doch bei jedem möglichen Konflikt die Triebe und Bedürfnisse aller Beteiligten. Brauche ich Ruhe und Erholung und dünkt es das Kind nach Verbindung, werde ich die Preise vergleichen: Wie geht es mir am Ende, wenn ich meinem Bedürfnis nachgehe, wie, wenn ich das des Kindes vorziehe? Ist die Verbindung der Beteiligten stabil, finden sich meist Wege, zu denen alle gerne und ohne Kompromisse »ja« sagen können. Es hilft aus meiner Erfahrung, wenn sich jeder darüber klar ist, was ihn genau antreibt. Und das ist oft nicht so trivial. Hier kann vielleicht mein Empathie-Kompass helfen:

Diese vier Triebe halte ich für universell.

Wenn ich beim Erziehungsverzicht die Triebe und Bedürfnisse des Kindes deutlich stärker gewichte als bei der klassischen Erziehung, geschieht dies übrigens nicht aus einem moralisch-altruistischen Pflichtgefühl heraus, sondern aus dem Wissen, dass ich mir selbst einen Gefallen tue, wenn ich die Triebe und Bedürfnisse des Kindes in meine Entscheidungen einbeziehe. Kurzfristig kann ich die eigenen Interessen zwar meist »durchboxen«, aber dafür wird ein Preis fällig. Zumindest unbewusst führt jedes Kind ein Konto, und irgendwann ist der Dispo am Anschlag. Danach wird es schwierig, denn das Reparieren einer zerrissenen Bindung erfordert mehr Zeit und Mühe, als man vorher vermeintlich gespart hat. Der zweite Einwand lautet oft:

»Wird das Kind so nicht verwöhnt? Schließlich wird es außerhalb der Familie auf Gewalt stoßen und spätestens in der Schule mit Zwang konfrontiert.«

Antwort: Ich leite auch keine Abgase ins Kinderzimmer, nur weil die Luft außerhalb der Wohnung belasteter ist als innerhalb. Damit will ich sagen: Ich bin überzeugt, dass ein Kind aus einem Gefühl der Fülle heraus einfacher mit Mangel umgehen kann. Es spricht also aus meiner Sicht nichts dagegen, wenn die Akkus zu Hause aufgeladen werden, damit das Kind draußen länger davon zehren kann. Gleichwohl entstehen auch in der Familie ständig Konflikte, bei denen man den Umgang mit ihnen trainieren kann. Gehorsam und Unterwerfung will ich jedoch nicht trainieren. Eine Verwöhnung droht aus meiner Sicht dann, wenn man dem Kind alle Schwierigkeiten abnimmt, denn Kompetenz und Selbstvertrauen entstehen aus der wiederholten Erfahrung, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen zu haben.

Ich sehe es aber nicht als Verwöhnung, wenn das Kind viel Aufmerksamkeit, Liebe und Verbindung bekommt. Meiner Meinung nach kann es da kein Zuviel geben, solange das Kind einverstanden ist. Es gibt auch keine allgemeingültige Norm, die sagen könnte, wann Unterstützung wirklich hilft und wann dem Kind damit eher einen Bärendienst leistet. Es ist vielmehr ein ständiges Abwägen von Gelegenheiten und Gefahren. Sehen die Eltern fast nur Gefahren, wird das Kind eher langsam selbstständig. Sehen die Eltern keine Gefahren, kann sich das Kind auch mal überschätzen und Schaden nehmen. Diese Grauzonen erscheinen unbefriedigend, aber Versuch und Irrtum weisen den Weg.

Die dritte Frage ist oft die nach der Reaktion bei Übergriffigkeit gegenüber anderen:

»Was machst du, wenn dein Kind andere Kinder schlägt, bestiehlt oder mobbt?«

In den achtzehn Jahren seit Studienbeginn habe ich das noch nicht erlebt, aber käme es zu mehr als einer Rauferei, würde ich auch körperlich dazwischen gehen, um Verletzungen zu verhindern. Für wichtiger halte ich jedoch die Frage, was ich danach tue. Und die Antwort lautet: weder schimpfen, noch strafen. Das bedeutet nicht, dass die Sache unter den Tisch gekehrt wird. Jetzt ist vielmehr Empathie gefragt, und zwar für Opfer und Täter, sofern man diese Rollen überhaupt so klar benennen kann. Wer zuerst Empathie braucht, ist wieder eine Ermessensfrage. Es braucht nicht zwangsläufig immer das Opfer zu sein. Hier werde ich wieder klären, welche Triebe und Bedürfnisse auf beiden Seiten im Argen waren. Es ist hilfreich für die Schlichtung des Konflikts, wenn man es schafft, beide Seiten in die Lage zu versetzen, diese Empathie für das Gegenüber aufzubringen oder zumindest zu versuchen, herauszufinden, was dem anderen fehlt. Wenn es genügend gegenseitige Empathie gibt, fällt es meist nicht mehr schwer, alternative Strategien zu finden, die eignen Bedürfnisse zu befriedigen, ohne dass die des anderen auf der Strecke bleiben.

»Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.«

Karl Valentin

An Valentins Zitat ist etwas dran. Trotzdem bemühe ich mich nicht darum, ein »gutes Vorbild« abzugeben. Selbstverständlich spricht nichts dagegen, wenn die Eltern sich nicht gegenseitig schlagen, ihre Nachbarn nicht bestehlen und im Supermarkt keine Tobsuchtsanfälle bekommen. Den eigenen Kindern kann man jedoch nicht lange etwas vorspielen. Wenn ich mein Verhalten nur inszeniere, um mein Kind durch die Hintertür zu erziehen, fliegt das schnell auf. Ich kann mich auch nicht selbst zu einem Vorbild machen. Dazu wird man bestenfalls gemacht.

Ich arbeite also ohne pädagogische Hintergedanken weiter an meiner eigenen Persönlichkeitsentwicklung, und wenn sich das Kind mal was Nützliches abschaut, freue ich mich. Versuche ich jedoch eine angebliche Makellosigkeit zur Schau zu stellen, werde ich meine Fehler wahrscheinlich kaschieren, statt entspannt mit ihnen umzugehen. Entspannt heißt: ohne übertriebene Selbstvorwürfe und so, dass ich aus ihnen lerne. Ich hätte große Zweifel, ob es mir gelänge, authentisch zu wirken, wenn ich mich ständig fragen würde, wie dieses oder jenes auf das Kind wirkt.

Hier noch drei weitere Fragen, die fast in jedem Gespräch über Erziehung gestellt werden:

4. Was mache ich beim Tobsuchtsanfall im Supermarkt?

Gäbe es da einen Trick mit Erfolgsgarantie, würde ich ihn nicht verraten, denn damit priese ich das Herumdoktern am Symptom. Sollte das Kind im Supermarkt ausrasten, sind vorher viele Dinge genau so gelaufen, dass der Anfall unvermeidlich wurde. Fast nie geht es um den Schokoladenriegel, den das Kind jetzt gerne hätte und nicht bekommt. Fragen wir uns als erstes: Welche Bedürfnisse sind bei dem Kind wahrscheinlich im Argen? Die Antwort bei erzogenen Kindern lautet fast immer: das nach Eigenständigkeit. Spulen wir mal ein paar Stunden zurück. Welche Botschaften empfängt das Kind über den Tag verteilt?

»Wie sagt man da? Entschuldige dich! Sieh mich an, wenn ich mit dir rede! Bring den Müll runter! Deck den Tisch! Sitz gerade Junge! Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt! Gib der Tante die Hand! Gib ihr die richtige Hand! Räum jetzt dein Zimmer auf! Antworte gefälligst, wenn man dich was fragt! Nimm die Hände aus den Taschen! Nimm die Hände aus dem Mund! Ab ins Bett!«

Wenig überraschend ist das Kind irgendwann der Bevormundung überdrüssig. Klar kann Schokolade die Fesseln und Wunden eine Weile vergessen machen; ohne Bevormundung wird die Schokolade allerdings immer unwichtiger. Ziemlich sicher spürt das Kind, dass es im Supermarkt Publikum hat und sich so mehr Gehör verschafft. Jetzt ernten die Eltern das, was sie über Wochen gesät haben.

Eine überraschende Lösung besteht auch darin, dem Kind die Schokolade zu kaufen. Bei uns gab es beispielsweise nie eine Rationierung von Süßigkeiten. Nur so kann das Kind Selbstbeschränkung lernen. Wenn man da künstlich Knappheit schafft, entsteht viel eher eine ungesundes Verhältnis zu der »Droge« Zucker.

5. Wie bekomme ich mein Kind dazu, mehr im Haushalt zu helfen?

Aus der Frage schließe ich, dass die vermutlich erste Herangehensweise — das Bitten — nicht gefruchtet hat. Ginge es nur um die Hilfe, wäre der offensichtliche, zweite Schritt: Belohnen oder Bedrohen. Aber meist geht es nicht um die Hilfe. Die Arbeit, die ein kleineres Kind verrichten könnte, lässt sich oft schneller in ein paar Minuten selbst erledigen. Worum es den meisten Eltern eigentlich geht, ist die Würdigung ihrer eigenen Leistung in Form einer Gegenleistung. Das lässt sich jedoch nicht erzwingen. Hilfe lässt sich erzwingen oder erkaufen, Würdigung nicht. Bei der Hilfe im Haushalt als Ausdruck einer Würdigung oder der Dankbarkeit gibt es deshalb nur das Mittel der Bitte. Voraussetzung ist auch hier, dass es eine Bitte ist und keine Forderung, die mit dem Wort »bitte« garniert wird. Woran erkennt man eine echte Bitte? Das Kind kann »nein« sagen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Wie erhöhe ich nun die Wahrscheinlichkeit einer positiven Antwort? Der Leser ahnt es schon: indem ich das Kind beim Erfüllen seiner Bedürfnisse unterstütze.

6. Wie bringe ich mein Kind dazu, früher ins Bett zu gehen?

Auch aus dieser Frage schließe ich, dass Bitten nicht zielführend waren. Ich schlage wieder vor, genau zu analysieren, was das eigene Bedürfnis hinter dem Wunsch ist. Jetzt könnte ich sagen, dass ich möchte, dass das Kind am nächsten Morgen ausgeschlafen in der Schule sitzt. Aber das ist kein Bedürfnis, sondern eine Strategie. Ich vermute, das Bedürfnis der Eltern ist meist eigene Ruhe. Ist das Kind am nächsten Tag unausgeschlafen, erhöht sich der Druck auf die Eltern. Jetzt könnte ich die ganze Schulzeit hindurch mit mehr oder weniger starkem Druck dafür sorgen, dass das Kind zeitig ins Bett geht, aber das ist erstens sehr anstrengend und zweitens lernt das Kind auch hier wieder keine Selbstkontrolle und Selbstverantwortung. Die Voraussetzung dafür wäre die Freiheit von elterlichem Druck. Ziemlich sicher wird das ein paar Mal schiefgehen und der nächste Tag anstrengend. Hilfreich wäre dann, wenn die Eltern auf Sätze verzichten wie: »Siehst du, genau das habe ich prophezeit.« Mit den unangenehmen Folgen kann beim Kind irgendwann die Erkenntnis reifen, dass zeitiges Zubettgehen mehr Vor- als Nachteile haben kann. Wenn das geschieht, ist das Ziel erreicht. Jetzt hat echtes Lernen stattgefunden und das Kind hat aus eigenen Erfahrungen Erkenntnisse gewonnen.

Ich will niemandem Illusionen machen: Der Verzicht auf Erziehen ist keine einfache Sache. Immer wieder kommen Gedanken hoch wie: »Ich will jetzt einfach nur, dass das Kind einmal macht, was ich sage. Ich bin es einfach leid, alles zu diskutieren.« Besonders schwierig wird es, wenn man das Kind anfangs erzogen hat und irgendwann später zu der Überzeugung gelangt, dass man das nicht mehr tun möchte. Oft wird das Kind Schwierigkeiten haben, mit der Freiheit umzugehen. Es wird vielleicht aus erlittenem und noch nicht bewältigtem Schmerz heraus über die Stränge schlagen.

In der Schule Summerhill, die 1921 in der Nähe von Dresden gegründet wurde, und die noch heute in England existiert, haben die Lehrer große Erfahrung mit den Wirkungen von Freiheit. In dieser Schule ist die Anwesenheit im Unterricht freiwillig. Probleme gab es meist nur mit Kindern, die zu spät nach Summerhill kamen. Nach Jahren der Fremdbestimmung konnten die Kinder nicht mehr mit der Freiheit umgehen, sodass A.S. Neil irgendwann keine 14-Jährigen mehr aufnahm. Mit jüngeren Kindern, die gar nichts anderes kannten als Freiheit, gab es diese Probleme nicht.

Ich habe größtes Verständnis für die Frustration von Eltern: Manche investieren unendlich viel Zeit und Geld in ihre Kinder und empfinden einen Mangel an Anerkennung für ihre Arbeit. Wie oft kommen Kinder schon zu ihren Eltern und bedanken sich für die Energie, die man in sie steckt? Eine ziemlich sichere Strategie, Anerkennung und Respekt nicht zu bekommen, besteht tragischerweise darin, sie einzufordern.

Vielleicht helfen einigen Lesern meine Gedanken auch dabei, ihre eigene Kindheit effektiver zu verarbeiten. Oft höre ich Sätze wie: »Ich habe eine strenge Erziehung genossen.« Oder: »Das hat mir nicht geschadet.« Ich kann mir dazu selbstverständlich kein Urteil erlauben, aber mir drängt sich die Frage auf, ob ohne Erziehung vielleicht nicht nur Schaden vermieden worden wäre, sondern sogar Freude erzeugt — und das möglicherweise gepaart mit größeren Lerneffekten?

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